Land und Lüge
Florian Bellin (Red.) mit Beiträgen von B. Auerswald, F. Bellin, F. Lorberg und Ch. Welz
(1996) DIN A5 / 308 Seiten (408g) (10,75 Euro)
Landschaftsplanung ist ein schwieriges Geschäft, weil Städter – und Landschaftsplaner sind Städter – das ‘Land’ immer hegemonial von der Metropole, der das ‘Land’ nach physiokratischer Auffassung die ‘subsistence’ zu sichern habe, her betrachten. Deshalb gibt es Landschaftsplanungen, die den Bewohnern und Produzenten auf dem Land gilt, so selten und die koloniale Landschaftspflege verschiedenen Couleurs beherrscht das Geschäft. Die Reduktion einer soliden Landschaftspflege, wie sie nach K. Buchwald (1964) noch bestand, auf einen abstrakt-normativen Naturschutz steht für das Geschäft der nivellierten Versorgung mit Gratisnaturproduktivkräften der industriellen Produktion (Rohstoffe und anorganische Produktionshilfsmittel) sowie der Förderung der Importe organischer Rohstoffe wie Exporte industrieller Produkte aus und in die Kolonien (heute 3. Welt genannt). In diesem Notizbuch sind dazu Arbeiten versammelt, die verschiedenen Seiten des landschaftsplanerischen Verständnisses, der Sympathie zum Ort und Gegenstand gegen die Vereinnahmung nachgehen.
Frank Lorberg geht der ‘Heide’ und der bildungsbürgerlichen Entdeckung von ‘Sumpf, Heide und Sezession’ wie sie in der Propaganda von Hermann Löns angezettelt wird und bis heute virulent ist, auf den schwer erreichbaren Grund. Wie z.B. die Einwohner zu Eingeborenen stilisiert wurden, der städtische Jäger nach Trophäen verschiedener Art – Wildpret, Wissenschaft, Bildern – symbolische Herrschaft über stellvertretende Muße erlangt und zum Ende die Trophäen stilisiert und vermarktet.
Christoph Welz zeichnet die aktuelle, der Nutzung oder deren Entwertung verdankte Naturausstattung am Dörnberg nach und prüft den Einfluß des naturschützerischen wie agrarpolitischen Zugriffs. Zeichnungen und Interpretationen der realen Naturausstattung sind relativ dünn gesät, weil Naturausstattung i.d.R. fiktiv und propagandistisch vorgestellt wird.
Florian Bellin führt am gleichen Ort – dem Dörnberg – den administrativen Zugriff des Naturschutzes, verteten durch die Fortspartie auf und weist die kolonialistische Landschaftsbildnerei in der primitiven Nachfolge englicher Parkgestalter nach. Vorwände und Bilder, Aussperrungen und Einsperrungen, Imitationen und Abfallproduktion, wie sie von Thorstein Veblen schon vor 100 Jahren trefflich als demonstrativen Aufwand und stellvertretende Verschwendung festgestellt wurden, sind, wenn man die dünne Decke des Jargons mal lüftet, in dem üppigen administrativen Mummenschanz aufzudecken und nachzuweisen.
Birgit Auerswald folgt mit ihrer Untersuchung den Wegen – im doppelten Sinne – der ‘spontanen’ Vegetation und ihres praktischen Gebrauchs in der Küche. Die erste Hilfe zur Kenntnis sind Wildkräuterkochbücher, die nach dem Erscheinungsdatum auffällig sortiert werden können. Zugehörigkeit zu Pflanzenfamilien und Pflanzengesellschaften werden für typische Kochkünste, Erntezeiten und Ernteorte beschrieben. Daß diese Kenntnisse nur mehr literarisch vermittelt sind, führt die Autorin auf die Ausrottung der Pflanzengesellschaften durch industrielle Landwirtschaft und die Reduzierung der Wege, die immer auch freies Gut für den Gebrauch der landlosen Bewohner waren, zurück. Die Sammelrestriktionen des Naturschutzes legitimieren die Aufhebung der Allmendnutzungen ergänzend.
Sowohl für die Landschaftskunde und praktische Beobachtungen, Kenntnisse, Gebräuche und den Widerspruch zur Administration informative und spannende Arbeiten, die neben Vergnügen beim Lesen auch wichtige Gedanken zur Landschaftsplanung – gegen die unreflektierte Landespflege formulieren den Spaß, die Langeweile des Naturschutzes meiden zu lernen.
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