Von der Klassenfahrt zum Klassenbuch – Lythro-Filipenduletea an Hamme, Wümme und Oste
F. Bellin und K. H. Hülbusch (Red.)
(2003) DIN A5, 152 S. (234g) (9,25 Euro)
Die orthodox bestrittene Klasse der Lythro-Filipenduletea Klauck 1993 ist immer eine Reise wert. Und dies natürlich an einen Ort, an dem diese Gesellschaften gemein zu finden sind. Im August 2002 haben wir uns mit zwölf Forschern auf die Klassenfahrt begeben und Vegetationsaufnahmen gemacht, die angesichts der historischen Vorgaben niemand alleine hätte machen können, weil dazu der Mut nie ausgereicht hätte. Herausgekommen sind knapp zweihundert Aufnahmen, die im Vergleich zu den historischen Vegetationsaufnahmen nicht mehr von Molinietalia-Arten begleitet werden. Zudem ist bis auf signifikante Vorkommen, die Preisings Überlegung von naturbürtig stabilen Filipenduletea – Gesellschaften bestätigen, die Verbreitung tendenziell flächig und versaumt. Der wirtschaftsbedingte Saum an der Grenze von Gewässern und Grünland (Calthion , Molinion), durch die Mahd stabilisiert tritt jetzt vornehmlich in einer dynamischen Phase mit Begleitern aus den Artemisietea oder Phragmitetea auf. Trotzdem, oder gerade deshalb ist das Fundament der Filipenduletea auch in der Verbreitung der Assoziationen und Subassoziationen vergleichbar geblieben. Jedenfalls ist es nicht die Gesellschaft, die den Naturschützern so heilig ist. Hier gilt wieder mal die bewährte Metapher, daß jede Gesellschaft die Landschaft hat, die sie verdient, aber nicht versteht, weil die Heiligen der Vergangenheit nachtrauern, zu deren Abschaffung sie selbst beigetragen haben.
Der piefigen Kritik an Klaucks systematischer Ordnung der Klasse haben wir mit einer soliden Erweiterung aus guten Gründen eins draufgesetzt. Neben der pflanzensoziologischen Beweisführung am Gegenstand gilt uns hier vornehmlich die Frage des Verstehens, von der R. Tüxen (1972) forderte, daß die Gegenstandsabbildung keinen Sinn mache, wenn damit nicht auch landschaftskundliche Einsichten erworben würden: Was ist da, ist der Gegenstandsabbildung gewidmet; was bedeutet das, gilt dem Verständnis oder der Interpretation. Niemand, der die Landschaft betrachtet, macht die darin enthaltene Arbeit. Könner sind Leute, die Arbeit tun, Kenner sind Leute, die die Arbeit verstehen, von der ‚hohen Warte‘ des Elfenbeinturms (Panofsky, E. ). Vom Elfenbeinturm aus darf man allerdings die Scheinheiligkeit des Historiographen kritisieren, der liebt, was es nicht mehr gibt. Wenn es gute Gründe gibt, die Welt zu ändern, muß zuerst verstanden werden, was geschieht und warum.
„Die Wahrheit liegt nicht tiefer,
sondern ganz woanders“ (J. Berger)
Oder ganz einfach: die Vegetation ist nicht Ursache, sondern Ausdruck der Wirtschaftsweise. Dafür ist die ‚Klassenfahrt‘ eine genüßliche Darlegung, die im Übrigen dem Markt der verkauften Meinungen nicht nacheifert.
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