Vom Regen in die Traufe
H. Böse-Vetter (Red.), mit Beiträgen von K. H. Hülbusch u. H. Lührs; B. Schwarze; K. Protze; K. H. Hülbusch, J. Knittel u. A. Wegmann sowie H. Lechenmayr.
(1994) DIN A5.316 S. (426g) (12,25 Euro)
Dieses Notizbuch ist fast eine Bremensie. Den Titel lieferte in übertragenem Sinne das Gutachten für den Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung (Bremen) zur ‚Verwendung des Niederschlagswassers in der Stadt‘. Dieser modische Auftrag, so erwartet der Auftraggeber, gehört zum jüngsten Kapitel der Geschichte des Wassers in der Stadt, die A. Corbin so treffend nachgezeichnet hat. Der ‚Entwässerung‘ der Stadt soll nun die ‚Bewässerung‘ folgen, um auch an dieser Stelle den administrativen Zugriff auf private Entscheidungen zu erhöhen und darüber gleichzeitig eine weitere Zentralisierung des Wohnungsbaus sowie Enteignung des Gebrauchs städtischer Freiräume durchzusetzen (s. Veröffentlichungen 1992/93 in Gartenamt und Garten + Landschaft). Tümpel, Versickerung, Entsiegelung schweben unter der Fahne ‚Ökologie‘ daher und verkünden wieder einmal die Mähr von der demonstrativen Verschwendung als Leitbild der Grüngestaltung.
Dagegen geht das Gutachten auf den praktischen Gebrauch des Niederschlagswassers ein und untersucht am Beispiel charakteristischer Siedlungstypen und zugehöriger Bauformen – ‚Vom Reihenhaus zur Mietskaserne‘ – die Gebrauchsmöglichkeiten des Niederschlagswassers bei minimalem Installationsaufwand zum Hinweis auf die Möglichkeiten der Wassersparsamkeit bis hin zu den Sparmöglichkeiten bei Kanalisationen und Wasserklärung. Ein aufregender Beitrag, der vom Beispiel vorhandener Siedlungs- und Bauformen auf die Planung angewandt werden kann, wenn die Überlegungen und Vorschläge vom Straßen- bis hin zum Hausbau, von der Kanalisation bis zum Klärwerk, von der Mischkanalisation bis zur Trennkanalisation nach den Kosten nicht für die ‚Natur‘ sondern für den einzelnen Haushalt von der Familie bis zur Kommune auf Sparsamkeit überprüft werden. Bürokratische Übertreibungen nach denen jetzt in Bremen Straßen nur noch nach der Versickerung und ohne Freiraumplanung (Morphologie und Zonierung) durchgesetzt werden sollen, gieren nach der Entsiegelungsmode und haben das Gutachten mal wieder nicht verstanden. Der Senator hat nach anfänglichem heftigem Widerstand den Gedanken übernommen und inzwischen immerhin 500 Sonderdrucke der Arbeit aus dem Notizbuch bestellt.
Bernd Schürmeyers Beitrag stellt zusammenfassend ein Gutachten vor, in dem der Unsinn des Biomüllkompost-Transports nach Schmeiskys Witzenhäuser ‚Zentralisierungsmodell‘ auf dem platten Land geprüft wird. Auch hier begegnen wir einer Mode, die aus dem Widerspruch gegen die Verschwendung und die Reichtumsplakette ‚Menge‘ eine technisch-bürokratische Vorwandlösung auf den Schild hebt. Die Ablehnung zum Druck dieses Beitrags vom Gartenamt bis zur Alternativen Kommunalpolitik (in Faksimile beigefügt) sind der Ausweis für den bürokratischen Totalitarismus.
Das Gutachten zur Freiraumplanung der Universität Bremen von 1973 landete damals in der untersten Schublade des zuständigen Schreibtischs, von dem der Schlüssel dann weggeworfen wurde. Es ist einerseits ein Zeitdokument und andererseits ein Dokument für die Plausibilität der planerischen Prognose und die administrative wie politische Unfähigkeit, einen Gedanken gegen die Mode zu prüfen. In diesem Gutachten sind auch viele Fundstellen für Überlegungen enthalten, die später dann sorgfältig und ausführlich mit vielen Einsichten erweitert formuliert wurden und in den Notizbüchern immer weiter verfertigt vorgestellt werden. Eine Reminiszenz zu diesem Gutachten – 20 Jahre später von K.H. Hülbusch zeichnet die Auftragssituation nach und beschreibt das tatsächlich realisierte Dilemma der ‚realisierten‘ Entwürfe, zu denen fast täglich neue bahnbrechende Therapien propagiert werden; so ein Stückchen Planungskriminalistik nach der Prognose des Mordes – die Täter sind beliebig und allseits anerkannt.
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