Ein nettes Geschenk- und Vorlesebuch in der weihnachtlichen JahresEndzeit ist
Der Spurenfinder von Marc-Uwe, Johanna und Luise Kling.
Vermutlich hat der Autor von Qualityland und Qualityland 2.0 die Geschichten, die er seinen Zwillingstöchern zum Gutenachtgehen erzählte einfach aufgeschrieben. Oder doch nicht so einfach, da die Beiden sicherlich mit nervigen Fragen und nicht intendierten kindlichen Ergänzungen die Hoffnung des vorlesenden Vater auf einen baldig ruhigen Abend nach ausgedehnter Fantasy in erschöpft Träumen auflösten (während sie selbst die Geschichte weiter spannen). Das merkt man dem Buch aber nicht an (da der Vater gewieft die Kleinen vor grammatikalischen Fallstricken, kurzweiligen Pointen und voreiligem Ende schützte). Die Geschichte ist so zum Vorlesen für Kinder ohne Albtraumangst bist zur Frühpubertät geeignet, dann – nach der Phase pubertärer Abwendung solch Kindergrams – zum freudig eskapistischen lesenden Versinken. Denn mit der Realität, die heute asozial und kriegerisch ist, hat die Fantasy wenig zu tun.
Die Geschichte selbst ist fantasymäßig absurd. Als Vater-Zwillingskinder-Geschichte spiegelt sie die Vater-Zwillingstöchter-Beziehung – zumindest in der Fantasy des Erstautors. Als Fantasygeschichte ist sie auch so non-fiction, jenseits des Tatsachenromans.
Der Vater der Protagonistinnen, ebenfalls Zwillinge und im Alter der Coautoinnen, jedoch verschiedengeschlechtlich, ist Spurenfinder (also weder Spurensucher noch Spurenleser – aber das tut – abgesehen vom Gag –nix zur Sache, zumal er weder Spuren sucht noch findet noch liest) und wohnt mit ihnen am Arsch der Welt: in Friedhofen. Und dies natürlich in einer nicht weiter spezifizierten Zeit vor unserer Zeit. Doch selbst in Friedhofen war zu der Zeit vor unserer nicht der Hund begraben, sondern lebten Wandelwesen und – sagen wir mal – Flüchtlinge. Und im Nachbarkaff auf dem Jahrmarkt gab’s dergleichen mehr: Blumen-, Feuer- wie Stein- und Wasserflüsterer. Und schließlich gabst im ansonsten friedhofstoten Friedhofen einen Mord, wie er nur in Zeiten vor … . Mit reichlicher Unterstützung seiner Kinder gelingt es dem Vater – nachdem er nebenbei ein Königreich gerettet und Frieden zwischen den Fantasyreichen bewahren konnte – die Mörderin zu entdecken, die jedoch fantasyvoll entfleucht.
Dennoch, zwischen all den Kinderträumen und adultfreundlich prima lesbarer eskapistischer Fantasy scheinen durchaus Gedanken in die non-fiction Reality zu strahlen.
„Männer wie [hier bitte ergänzen, auch Frauen wie Frau Flack-Rheinmetall] … glauben, der Krieg bringe ihnen Macht und Schätze, Ruhm und Ehre. Aber … auch euch wartet nur Ohnmacht und Armut, Schmach und Vergessen“ – leider kindgerecht.
Wenn ihr das Buch über die Website des Autors kauft, spendet der Erstautor – wahrscheinlich 3,27 oder einen anderen Fantasybetrag an Sea Shapherd. Das ist doch ein Angebot.
Immerwieder spannend zu lesen und anzuschauen:
die Wandertagebücher von Gerhard (Henschel & Kromschröder):2016: Landvermessung. Durch die Lüneburger Heide von Arno Schmidt zu Walter Kempowski, 223 S.
2018: Laubengänge. Auf den Spuren von Wilhelm Busch durchs Weserbergland zum Harz, 223 S.
2019: Märchenwege. Auf den Spuren der Gebürder Grimm durch den Vogelsberg und das Hessische Bergland; alle Edition Temmen.
Natürlich sind die Bücher den bewanderten Literaten gewidmet. Kenntnisreich werden die Werke zitiert. Aber sonst, sind die Wanderungen gut vor- und nachbereitet. Der Leser erfährt allerhand belangloses über die Orte, das in der Summe nicht belanglos ist, ja auf das Gemeine erweist:
Laubengänge 117: „Wie man einem Vermerk unter dem Straßenschild entnehmen kann, hieß die Dasseler Burgstraße früher Judenstraße. Weshalb ist sie nicht wieder unbenannt worden?“
Erzählt sind die ausgegrabenen Geschichten angesichts der Gegenden und der Orte, durch die die beiden Gerhards durchwanderten. So verbleibt die Erzählung am Ort, im Gegensatz zu den Sparziergangswissenschaften, von denen sie en passant das Atellier für Spaziergangsforschung und Fotographie von Bertram Weißhaar erwähnen. Die Aufmerksamkeit nicht dem fernen Tahiti, sondern dem unerkanntem Trivialen, dem alltäglichen ja Absurden entlang des Weges. Dies ist nicht nur von Gerhard Henschel billilant beschrieben sondern mehr noch von Gerhard Kormschröder brillant photographiert. Allein die Bilder verdeutlichen die Allgegenwärtigkeit des Lebendigen Lebens wie die Absurdität des Allgegenwärtigen oder – planerich-praktisch – den Wandel, die Verstädterung der Dörfer, die mit „Leerstand, Leerstand, Leerstand, Leerstand“ (Laubengänge 143) ebenso die Dörfer wie die Städte auflöst. Und natürlich werden die Orte auch beschrieben.
„Wo nehmen die Stadtplaner all ihre Schlechten Ideen her“ (Laubengänge: aus der Lamäng zitiert, angesichts von Dorferneuerungen).
Doch der versteckte Sinn wird erkannt:
„Nach Kromos Dafürhalten dient er [ein unwirtlicher, gepflasterter Brunnenplatz ohne plätschernde Brunnen] den mit Nachwuchs gesegneten Kathrinhägern zu Bestrafungszwecken: „Wenn Du nicht artig bist, dann bring ich dich zum Brunnenplatz““ (Laubengänge 53).
Die Wanderbücher zu Grimm und Busch sind noch im Buchhandel erhältlich. Arno Schmidt, der Rolls Royce unter den Literaten, ist ausverkauft und kostet antiquarisch (80-)100+ €. Bildung muss man sich leisten können. Es lohnt sich dennoch. Klasse Geschenke! Die überaus gute Serie wird von den Autoren nicht weiter bewandert.
Eine nette Geschichte, der Stoffwechsel …
… und vordergründig kritisch geschrieben. Trotz aller erzählten Niederwerfungen von Aufständen ist der Autor froher Hoffnung, da schon früh neben Lohn und Arbeitszeit auch gegen industrielle Verschmutzungen gekämpft wurde. Letztlich ist die Kritik systeminhärent; systeminhärent auch in wörtlicher Bedeutung. So beschreibt er, wie Steuerungssysteme, die die industrielle Ausbeutung effektiver machten, ebenso – ökosystematisch – zur Steuerung der ökologischen Wirkung (inkl. der Gesundheit = Arbeitsfähigkeit) der genutzt werden.
„Dieselben Techniken, die man verwendete, um expandierende Produktionsprozesse zu steuern, kommen zum Einsatz, um vor den desaströsen Auswirkungen zu warnen. … und damit Schutz- und Reparaturmaßnahmen zu ermöglichen“ (: 272). Dies mit Stoffwechselpolitik zu steuern verkennt, dass eben die Schutz- und Reparaturmaßnamen die expandierenden Produktionsprozesse zu Ausbeutung von Mensch und Natur beschleunigt, da alleinig auf Kapitalakkumulation ausgereichtet. Allein, dies kanns eigentlich auch nicht alleine sein, denn die Ökonomie und Industrie der einst real existierenden sozialistischen Länder akkumulierte ebenfalls – wenn auch weniger fleißig – fixes Kapital. Es scheint als wandle der Stoffwechsel Natur und Mensch in fixes Kapital.
Suhrkamp, 978-3518029862, 417 S., Nostalgiker können es in der Buchhandlung bei ihnen um Ecke erwerben.
Bernd Sauerwein
„Wer einen lockeren Umgang mit Theorien mag und zugleich auf der Suche nach Anhaltspunkten ist, um zu verstehen, warum der aktuelle Städtebau und in dessen Gefolge die nicht erst aktuell, aber nun auch farblich gräuliche Grünplanung, die sich passenderweise Landschaftsarchitektur nennt, so aussehen und ‚funktionieren‘, wie sie Unbehagen erwecken und unbrauchbar sind, dem kann ich das Büchlein ‚Begehrenswert. Erotisches Kapital und Authentizität als Ware‘ von Jule Govrin (Matthes und Seitz, Berlin 2023, 16,-) zur Lektüre nebenbei empfehlen, weil in Diskussionen mit Landschaftsarchitekt:innen und Verwaltungen, die nicht selber zu sehen gelernt haben, jene bösartigen Entwürfe wenn überhaupt, dann nur mit erhöhtem gedanklichen Aufwand erklärt werden können. Die so interessante wie vergnügliche und verwirrende Lektüre setzt zwar ein wenig Belesenheit voraus, macht dabei aber auch Lust, Unbekanntes nachzulesen, was die ausführlichen Anmerkungen mit Literaturangaben zum Text erleichtern; das Fehlen der Texteangaben zur ‚Warenästhetik’ (Wolfgang Haug) und zum ‚Postmodernismus‘ (David Harvey) lässt sich, um mit einem Rätsel zu schließen, aus den Überlegungen zum Begehrenswert implizit erklären.“
Frank Lorberg
Harter Toback,‘
das Antiromantische Manifest von Marie Rotkopf.
Aufmerksam wurde ich auf die Autorin durch ihre aktuelle (2023 erschienene) Übersetzung und Kommentierung von Emile Durkheims Ausführungen zur deutschen Mentalität und Krieg. Sie ist – wie bereits die Lebensdaten Durckheims nahe legen – auf den 1. WK bezogen aber überaus aktuell, vor allem angesichts des aktuellen Krieges.
Das antiromantische Manifest ist, bereits älter (2017). Nicht nur auf die Kriegseuphorie bezogen, enthüllt sie, die Französin, die den Deutschen eigene romantische Ideologie. Obwohl ich der deutschen Romantik nichts Gutes zugetraut habe, war ich doch überrascht, aufgeschreckt und erschrocken. Sie schreibt dies assoziativ in einer wilden, auch den Drucksatz betreffenden, Mischung, ja Collage von wissenschaftlicher Polemik, Prosa und knallharter Poesie – ergänzt durch Fotos und Collagen. – Lesenswert, gerade angesichts des in der Landespflege allgegenwärtigen Naturschutzes und der romantischen Gärten sowieso.
Nautilus 978-3-96054-044-1, 144 S., bei Deiner Buchhandlung um Deine Ecke.
Bernd Sauerwein
Header:
Der Parthenon der Bücher documenta 14, von Marta Minujin; Foto: J.hagelüken - Own work, CC BY-SA 4.0, https:// commons. wikimedia. org/w /index.php ?curid=62204195