Angenehmes und Erfreuliches über Russland …
… zu lesen ist in diesen hass- und hetzerfüllten Zeiten überaus erfrischen. Vom Krieg ist dabei freilich nicht die Rede, nicht einmal von der Russischen Föderation. Nein, die Geschichte beginnt – obwohl überaus modern und, da die moderne, westliche Kunst prägend, immer noch wirkmächtig präsent – bereits im Russischen Kaiserreich 1861 und endet in der Sowjetunion nach dem Großen Vaterländischen Krieg. Und damit ist gleich klar, dass die Geschichte für die Protagonisten nicht angenehm oder erfreulich in Salons und Kunstausstellungen, sondern überausscheußlich, oft in Armut, für einige in Sibirien oder andere anderweitig tödlich endete.
Die Rede ist von russischen Künstler*innen, die Ende des 19. bis zu Beginn des 20. Jahrhundert mit überaus modernen, avantgardistischen anmutenden gegenstandslosen Gemälden, Plastiken oder Performences die westeuropäisch orientierte künstlerische Intelligenzija aufmischten und entsprechend unter Restriktionen des Kaiserreiches zu leiden hatten. Für diese Künstler*innen – so könnte man meinen – wäre die Große Sozialistische Oktoberrevolution eine überaus willkommene Befreiung gewesen. Pfiffedeckel, umgekehrt. Im Sowjetreich waren die Restriktionen stärker und tödlicher.
Was aber ist so gefährlich, fragt
Noemi Smolik (2025) in ihrem Buch: Malewitschs Ohrfeige dem Modernen Geschmack. Die andere, Russische Moderne, 487 S., Berlin,
an einem Schwarzen Viereck auf Weißem Grund, dass es verboten und der Künstler verfolgt wird.
Ausgehend von dieser nur scheinbar naiven Frage rollt Noemi Smolik die Geschichte der Künstler*innen um Kasimir Malewitsch auf und zeigt, neben einer Würdigung der Künstler und Werke, warum und für wen ein Schwarzes Viereck auf Weißem Grund bedrohlich ist. Die Würdigung der Künstler ist notwendig, wurden sie doch nicht nur im Kaiserreichen wie in dem Sowjetstaat verfolgt, sondern auch in Westeuropa von Anfang an wenig beachtet, verkannt, ignoriert, ihre Ideen aufgezogen und deren Ursprünge vergessen gemacht. Da reitet ein Blauer Reiter seit Beginn des 20. Jhd. durch die westlich geprägte Kunstgeschichte – ohne dass seine Herkunft aus russischer Bauernmalerei und seine Bezüge zur orthodoxen Ikonen bekannt sind. Wir waren sie jedenfalls neu; wie viele andere Einflüsse dieser russischen Künstler wie der orthodoxen Ikonenmalerei auf die westeuropäische Moderne, die Noemi Smolik spannender wie viele Krimis erzählt, gänzlich unbekannt. Und soweit ich es überreiße, war’s auch nie großartig Thema westlicher kunstgeschichtlicher Diskurse.
Man muss schon mit orthodoxer Ikonen Kunst vertraut sein, um zu erkennen, das Malewitschs Schwarzes Viereck auf Weißem Grund aus dieser Kunsttradition entstammt wie umgekehrt auf sie bezogen ist. Für westliche Augen und Ohren erscheinen die Zusammenhänge überaus kryptisch. Die Russische Intelligenzija in Moskau und Petersburg hat sie hingegen sofort verstanden. Und zwar als Angriff auf sie wie auf die westeuropäische Moderne, der sich nacheiferte und die sei bewunderte. In Hinwendung zum Westen hatte Peter I (der Große) das Zarenreich nach westeuropäischer Manier in Kaiserreich umbenannt. (Nutzte ihm aber wenig. Vermutlich werden die Meisten von den Wenigen, die dies lesen, der festen Überzeugung sein, dass auch Nikolaus II Zar und die Oktoberrevolution das Ende des Zarenreichs war. Und dies ist – by the way – nicht der einzige Geschichtsmüll, auf dem die heutige Hetze erblüht.)
Wie Noemi Smolik überzeugend darlegt, gründet die westliche Moderne Kunst auf der Adaption der russischer Bauernkunst, der Ikonenmalerei. Was von ihr vornehmlich kunstgeschichtlich ausgeführt wird, ist landschaftsplanerisch bezüglich der sozialen, ökonomischen wie politischen Organisation der Mir-Gemeinden, in denen die Bauern lebten, auf die sich die Künster*innen um Malewitsch beriefen, überaus spannend. Nach der Befreiung aus der Leibeigenschaft wurde ca. 70 % des Landes des Kaiserreiches kommunal in Mir-Gemeinden verwaltet, d.h. es gab kein Grundeigentum, die Landbewirtschaftung wie die Verwaltung bis hin zur Justiz lag in den Händen der Mir-Gemeinden, d.h. in den dort wirtschaftenden Bauern. Und diese Organisation konnte von Gemeinde zu Gemeinde verschieden sein. Die solcherart sozialistisch-, kommunistisch- und (vom einem Zentralstaat aus betrachtet real) anarchistische Form des Gemeindelebens, gründete auf einem Dekret aus 16hundertundschee, dass Grundbesitz untersagt. Ein jeder dürfe nur über Land verfügen, solange er es bewirtschaftet. Nun, lange Zeit mussten die Bauern darunter leiden, da sie als Leibeigene ihrer Herrn für diese das Land bewirtschaften, damit die Herrn der Leibeigenen auch Herrn des Landes bieben. Nach der Befreiung 1986 wurde das Land kommuner Besitz. Die Organisation der Mir-Gemeinden, die gemeinsame Nutzung des Landes, trug viel zur Gelassenheit des bäuerlichen Wirtschaftens, das Tschajanow beschrieb bei, während diese alten Tradition der Bauerei in den privatwirtschaftlichen organisierten Bauernhöfen Westeuropas nur noch in Spuren erkennbar war. (Und deshalb hatte auch der junge Sowjetstaat so schwer gegen die freien Bauern zu kämpfen.)
Bereits im Kaiserreich haben die eigenständigen Bauerngemeinden die russische Oberschicht überaus genervt, stand sie doch dem westlichen Fortschritt, nicht nur in der Kunst, sondern in allen, besonders den technischen Künsten wie auch dem aufkeimenden Kapitalismus entgegen. Wie Tschajanow zeigte, war mit den Bauern kein Geld zu verdienen. Somit war die Beschäftigung mit ihnen resp. die durchaus freundliche und nicht reaktionäre Zuwendung zu ihrer Kunst zugleich ein überaus großer Affront, eine Ohrfeige, gegen die Intelligenzija, die – wie Noemi Smolik in Bezug auf die Neokolonialismustheorie ausführt – die Bauern als Rückständig ansah und mit westlicher Kultur beglücken wollte. Dagegen gewandt, ist ein Schwarzes Viereck auf Weißem Grund druchaus gefährlich. Im Kaiserreich schien es nur ärgerlich, fast harmlos. Richtig gefährlich wurde es erst im Sowjetstaat, da der totalitaristische Staat kein Gemeineigentum selbständiger Gemeinden dulden konnte, noch nicht einmal ein Schwarzes Viereck auf Weißem Grund, das darauf hinwies. Entsprechend ignoriert, vergessen gemacht und ebenso wenig bekannt ist der Briefwechsel Wera Iwanowna Sassulitzsch mir Karl Marx über jene Mir-Dörfer. Und schließlich – vermutlich symbolisch beabsichtigt – wurden die Mir ins All geschossen.
Was fehlt oder zu kurz kam, ist nicht so reicht Thema gewesen. Die Geschichte der Mir-Dörfer. Klar, ist ja kein Geschichtsbuch, jedoch wird auch die Kunst der Bauern wie deren Bedeutung im Leben der Bauern (vs. deren religiösen Bedeutung) nicht diskutiert; weder von Noemi Smolik noch – wie es scheint – von den die aufgreifenden Künstlern. Und die Bedeutung der Obsiegten, der herrschaftlichen Kunst des Sozialistischen Realismus. Beim Lesen habe ich die Kunstwerke der erwähnten Künstler*innen gegoogelt. Die Werke des Sozialistischen Realismus entsprechen ästhetisch der Völkischen Kunst der Nazis. Es scheint als habe der Totalitarismus eine gemeinsame Bildersprache. Die überzeichnete realistische Kunst könnte – dies wäre zu Prüfen – anstatt auf die GOttgegebenheit der sozialen Ordnung zu, auf die seit Aufkeimen des Kapitalismus gegebenen und mit Reduktion der Wissenschaften auf Naturwissenschaften alleinig wirksam erscheinenden natürlichen, unumgänglichen Gegebenheiten verweisen, zur Illustration der darin Begründeten Alternativlosigkeit des Totalitarismus bzw. – harmloser – diktatorischer Politik (Gams).
Bernd Sauerwein
Der Tag der Entscheidung naht und ist keiner:
Simon Sebag Montefiore: Die Welt. Eine Familiengeschichte, 1534 Seiten.
David Graebner & David Wengrow: Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit, aber mit 672 nur halb so lang.
Frühlesende mögen dem 23. Februar entgegen bangen; spätlesende mögen erschreckt sein. Nichts aber wird sich ändern, allenfalls werden wenige, die sich für erkoren wähnten, wahrnehmen dass sie Fliegenschieß in der Herrschaftsgeschichte sind. Auch wenn im gemütlichen Heim nicht wahrgenommen, währt der Schrecken schon lang. Mit einen Schrei zeigte bereits anfangs die Poesie auf ihn und wart zugleich vereinnahmt. Enheduannas, Prinzessin des Reiches Akkad, Hohepriesterin des Nanna, Oberherrin von Ur wurde vergewaltigt und dichtete berichtend davon. Poetisch grässlich schön, ergreifend – wie erschreckend modern schreibt sie von eben jenen Schicksal betroffen. Ein Schicksal dass neben ihr zahlreichen nicht dichtenden, des schreiben unkundigen Untertaninnen wie vor- und nachlebenden weiblichen Subalternen erteilt wurde. Die Schändung war zweifelslos persönlich, bei ihr jedoch zugleich Staatsräson. Indem Enheduannas geschändet ward, wurde die Priesterin entweiht. Dies zeigte dem Volk, dass Nanna nicht sooo mächtig war. Oder doch? Ihr Schänder Lugal-Ane würde von einem ihrer Anverwandten obsiegt und sie als Priesterin inkarniert. So konnte sie das erste (überlieferte) Poem schreiben, wie ihre Schänder schänden lassen.
Montefiore hat die Tragödie, dass die Schändung eine der Frau und Priesterin zugleich war, nicht verstanden. Sein Streifzug durch die Familiengeschichte der Herrschaftshäuser ist voll solcher Schauergeschichten, von Vergewaltigungen, Zwangsehen, Liebschaften, Entführungen wie auch von großen (wenn auch wenigen) Lieben, eben von dem was die Herrschaften so treiben und wie sie‘s treiben, wenn sie nicht gerade ihre Untertanen abschlachten oder abschlachtend aufeinander hetzen. So sind sie halt, die Herrschaftshäuser, haben Spaß am Vögeln, am Vergiften, Enthäuten und anderweitigen töten. Ganz böse sind natürlich die Chinesen, die Afrikaner und präkolumbianische Südamerikaner, die Montefiore hier und da in seine Menschheitsgeschichte einbezieht. Ihre Erwähnung scheint ganz allein zur Relativierung europäischer Grausamkeiten zu dienen. Die Familiengeschichte der Welt eine primär eine europäische Herrschaftsgeschichte zu der die Erwähnung anderer Länder und Herrschaften nur nützliches Beiwerk ist. Insbesondere ist die Geschichte nach dem 2. WK eine des amerikanischen Imperialismus. Gleichwohl ist die Geschichte der herrschaftlichen Grausamkeiten detailliert. Beispielweise dürfte unbekannt oder verdrängt sein, das der Reichtum Venedigs und Genuas nicht auf Gewürz- sondern auf Sklavenhandel beruhte. Ebenso interessant sind die Ausführungen zu (mich bis dato unbekannten) südamerikanischen Staaten, die von revoltierenden afrikanischen Sklaven errichteten nur kurzzeitig, wenige Jahr(-zehnt)e bestehenden.
Gegen die Geschichte der Herrschaften beschreiben Graebner & Wengrow den Gegenentwurf, genauer: keinen Entwurf, sondern reale Gegengeschichten. Die Davide scheinen dem goliathischen Montefiore zu unterlegen. Die geschleuderten 672 Seiten, voller Beispiele, Beschreibungen und Interpretationen zersplittern sie zwar nicht, die goliatih-montefioreische 1534 seitige Anekdotensammlung, sondern bewahren ihr Gegenbild, die Realität humanen Seins auch im pseudoreligiösen Glauben ans Prinzip der Hoffnung.
Bernd Sauerwein
Ein nettes Geschenk- und Vorlesebuch in der weihnachtlichen JahresEndzeit ist
Der Spurenfinder von Marc-Uwe, Johanna und Luise Kling.
Vermutlich hat der Autor von Qualityland und Qualityland 2.0 die Geschichten, die er seinen Zwillingstöchern zum Gutenachtgehen erzählte einfach aufgeschrieben. Oder doch nicht so einfach, da die Beiden sicherlich mit nervigen Fragen und nicht intendierten kindlichen Ergänzungen die Hoffnung des vorlesenden Vater auf einen baldig ruhigen Abend nach ausgedehnter Fantasy in erschöpft Träumen auflösten (während sie selbst die Geschichte weiter spannen). Das merkt man dem Buch aber nicht an (da der Vater gewieft die Kleinen vor grammatikalischen Fallstricken, kurzweiligen Pointen und voreiligem Ende schützte). Die Geschichte ist so zum Vorlesen für Kinder ohne Albtraumangst bist zur Frühpubertät geeignet, dann – nach der Phase pubertärer Abwendung solch Kindergrams – zum freudig eskapistischen lesenden Versinken. Denn mit der Realität, die heute asozial und kriegerisch ist, hat die Fantasy wenig zu tun.
Die Geschichte selbst ist fantasymäßig absurd. Als Vater-Zwillingskinder-Geschichte spiegelt sie die Vater-Zwillingstöchter-Beziehung – zumindest in der Fantasy des Erstautors. Als Fantasygeschichte ist sie auch so non-fiction, jenseits des Tatsachenromans.
Der Vater der Protagonistinnen, ebenfalls Zwillinge und im Alter der Coautoinnen, jedoch verschiedengeschlechtlich, ist Spurenfinder (also weder Spurensucher noch Spurenleser – aber das tut – abgesehen vom Gag –nix zur Sache, zumal er weder Spuren sucht noch findet noch liest) und wohnt mit ihnen am Arsch der Welt: in Friedhofen. Und dies natürlich in einer nicht weiter spezifizierten Zeit vor unserer Zeit. Doch selbst in Friedhofen war zu der Zeit vor unserer nicht der Hund begraben, sondern lebten Wandelwesen und – sagen wir mal – Flüchtlinge. Und im Nachbarkaff auf dem Jahrmarkt gab’s dergleichen mehr: Blumen-, Feuer- wie Stein- und Wasserflüsterer. Und schließlich gabst im ansonsten friedhofstoten Friedhofen einen Mord, wie er nur in Zeiten vor … . Mit reichlicher Unterstützung seiner Kinder gelingt es dem Vater – nachdem er nebenbei ein Königreich gerettet und Frieden zwischen den Fantasyreichen bewahren konnte – die Mörderin zu entdecken, die jedoch fantasyvoll entfleucht.
Dennoch, zwischen all den Kinderträumen und adultfreundlich prima lesbarer eskapistischer Fantasy scheinen durchaus Gedanken in die non-fiction Reality zu strahlen.
„Männer wie [hier bitte ergänzen, auch Frauen wie Frau Flack-Rheinmetall] … glauben, der Krieg bringe ihnen Macht und Schätze, Ruhm und Ehre. Aber … auch euch wartet nur Ohnmacht und Armut, Schmach und Vergessen“ – leider kindgerecht.
Wenn ihr das Buch über die Website des Autors kauft, spendet der Erstautor – wahrscheinlich 3,27 oder einen anderen Fantasybetrag an Sea Shapherd. Das ist doch ein Angebot.
Immerwieder spannend zu lesen und anzuschauen:
die Wandertagebücher von Gerhard (Henschel & Kromschröder):2016: Landvermessung. Durch die Lüneburger Heide von Arno Schmidt zu Walter Kempowski, 223 S.
2018: Laubengänge. Auf den Spuren von Wilhelm Busch durchs Weserbergland zum Harz, 223 S.
2019: Märchenwege. Auf den Spuren der Gebürder Grimm durch den Vogelsberg und das Hessische Bergland; alle Edition Temmen.
Natürlich sind die Bücher den bewanderten Literaten gewidmet. Kenntnisreich werden die Werke zitiert. Aber sonst, sind die Wanderungen gut vor- und nachbereitet. Der Leser erfährt allerhand belangloses über die Orte, das in der Summe nicht belanglos ist, ja auf das Gemeine erweist:
Laubengänge 117: „Wie man einem Vermerk unter dem Straßenschild entnehmen kann, hieß die Dasseler Burgstraße früher Judenstraße. Weshalb ist sie nicht wieder unbenannt worden?“
Erzählt sind die ausgegrabenen Geschichten angesichts der Gegenden und der Orte, durch die die beiden Gerhards durchwanderten. So verbleibt die Erzählung am Ort, im Gegensatz zu den Sparziergangswissenschaften, von denen sie en passant das Atellier für Spaziergangsforschung und Fotographie von Bertram Weißhaar erwähnen. Die Aufmerksamkeit nicht dem fernen Tahiti, sondern dem unerkanntem Trivialen, dem alltäglichen ja Absurden entlang des Weges. Dies ist nicht nur von Gerhard Henschel billilant beschrieben sondern mehr noch von Gerhard Kormschröder brillant photographiert. Allein die Bilder verdeutlichen die Allgegenwärtigkeit des Lebendigen Lebens wie die Absurdität des Allgegenwärtigen oder – planerich-praktisch – den Wandel, die Verstädterung der Dörfer, die mit „Leerstand, Leerstand, Leerstand, Leerstand“ (Laubengänge 143) ebenso die Dörfer wie die Städte auflöst. Und natürlich werden die Orte auch beschrieben.
„Wo nehmen die Stadtplaner all ihre Schlechten Ideen her“ (Laubengänge: aus der Lamäng zitiert, angesichts von Dorferneuerungen).
Doch der versteckte Sinn wird erkannt:
„Nach Kromos Dafürhalten dient er [ein unwirtlicher, gepflasterter Brunnenplatz ohne plätschernde Brunnen] den mit Nachwuchs gesegneten Kathrinhägern zu Bestrafungszwecken: „Wenn Du nicht artig bist, dann bring ich dich zum Brunnenplatz““ (Laubengänge 53).
Die Wanderbücher zu Grimm und Busch sind noch im Buchhandel erhältlich. Arno Schmidt, der Rolls Royce unter den Literaten, ist ausverkauft und kostet antiquarisch (80-)100+ €. Bildung muss man sich leisten können. Es lohnt sich dennoch. Klasse Geschenke! Die überaus gute Serie wird von den Autoren nicht weiter bewandert.
Eine nette Geschichte, der Stoffwechsel …
… und vordergründig kritisch geschrieben. Trotz aller erzählten Niederwerfungen von Aufständen ist der Autor froher Hoffnung, da schon früh neben Lohn und Arbeitszeit auch gegen industrielle Verschmutzungen gekämpft wurde. Letztlich ist die Kritik systeminhärent; systeminhärent auch in wörtlicher Bedeutung. So beschreibt er, wie Steuerungssysteme, die die industrielle Ausbeutung effektiver machten, ebenso – ökosystematisch – zur Steuerung der ökologischen Wirkung (inkl. der Gesundheit = Arbeitsfähigkeit) der genutzt werden.
„Dieselben Techniken, die man verwendete, um expandierende Produktionsprozesse zu steuern, kommen zum Einsatz, um vor den desaströsen Auswirkungen zu warnen. … und damit Schutz- und Reparaturmaßnahmen zu ermöglichen“ (: 272). Dies mit Stoffwechselpolitik zu steuern verkennt, dass eben die Schutz- und Reparaturmaßnamen die expandierenden Produktionsprozesse zu Ausbeutung von Mensch und Natur beschleunigt, da alleinig auf Kapitalakkumulation ausgereichtet. Allein, dies kanns eigentlich auch nicht alleine sein, denn die Ökonomie und Industrie der einst real existierenden sozialistischen Länder akkumulierte ebenfalls – wenn auch weniger fleißig – fixes Kapital. Es scheint als wandle der Stoffwechsel Natur und Mensch in fixes Kapital.
Suhrkamp, 978-3518029862, 417 S., Nostalgiker können es in der Buchhandlung bei ihnen um Ecke erwerben.
Bernd Sauerwein
„Wer einen lockeren Umgang mit Theorien mag und zugleich auf der Suche nach Anhaltspunkten ist, um zu verstehen, warum der aktuelle Städtebau und in dessen Gefolge die nicht erst aktuell, aber nun auch farblich gräuliche Grünplanung, die sich passenderweise Landschaftsarchitektur nennt, so aussehen und ‚funktionieren‘, wie sie Unbehagen erwecken und unbrauchbar sind, dem kann ich das Büchlein ‚Begehrenswert. Erotisches Kapital und Authentizität als Ware‘ von Jule Govrin (Matthes und Seitz, Berlin 2023, 16,-) zur Lektüre nebenbei empfehlen, weil in Diskussionen mit Landschaftsarchitekt:innen und Verwaltungen, die nicht selber zu sehen gelernt haben, jene bösartigen Entwürfe wenn überhaupt, dann nur mit erhöhtem gedanklichen Aufwand erklärt werden können. Die so interessante wie vergnügliche und verwirrende Lektüre setzt zwar ein wenig Belesenheit voraus, macht dabei aber auch Lust, Unbekanntes nachzulesen, was die ausführlichen Anmerkungen mit Literaturangaben zum Text erleichtern; das Fehlen der Texteangaben zur ‚Warenästhetik’ (Wolfgang Haug) und zum ‚Postmodernismus‘ (David Harvey) lässt sich, um mit einem Rätsel zu schließen, aus den Überlegungen zum Begehrenswert implizit erklären.“
Frank Lorberg
Harter Toback,‘
das Antiromantische Manifest von Marie Rotkopf.
Aufmerksam wurde ich auf die Autorin durch ihre aktuelle (2023 erschienene) Übersetzung und Kommentierung von Emile Durkheims Ausführungen zur deutschen Mentalität und Krieg. Sie ist – wie bereits die Lebensdaten Durckheims nahe legen – auf den 1. WK bezogen aber überaus aktuell, vor allem angesichts des aktuellen Krieges.
Das antiromantische Manifest ist, bereits älter (2017). Nicht nur auf die Kriegseuphorie bezogen, enthüllt sie, die Französin, die den Deutschen eigene romantische Ideologie. Obwohl ich der deutschen Romantik nichts Gutes zugetraut habe, war ich doch überrascht, aufgeschreckt und erschrocken. Sie schreibt dies assoziativ in einer wilden, auch den Drucksatz betreffenden, Mischung, ja Collage von wissenschaftlicher Polemik, Prosa und knallharter Poesie – ergänzt durch Fotos und Collagen. – Lesenswert, gerade angesichts des in der Landespflege allgegenwärtigen Naturschutzes und der romantischen Gärten sowieso.
Nautilus 978-3-96054-044-1, 144 S., bei Deiner Buchhandlung um Deine Ecke.
Bernd Sauerwein
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Der Parthenon der Bücher documenta 14, von Marta Minujin; Foto: J.hagelüken - Own work, CC BY-SA 4.0, https:// commons. wikimedia. org/w /index.php ?curid=62204195