Über kurz oder lang – Die Handlung macht den Ort. Die Herstellung der Orte kann nur von der Handlung lernen
D. Kuhle & N. Witzel
(2002) DIN A5, 188 Seiten. (294g) (9,25 Euro)
Promenieren ist so alltäglich handelnd wie leben. Wenn’s dazu einen Ort, Promenade genannt, braucht, kann niemand mehr promenieren, so dass dieser Auftritt paradieren zu nennen wäre. Lawrence Wylie (Dorf in der Vaucluse) hat in seiner immer noch unübertroffenen Studie, die soziologisch ist – ohne voyeuristisch zu sein, die Promenade im Sinne einer Handlung beschreiben. H. de Balsac hat ‚in der Theorie des Gehens’ (ca. 1850) sehr sorgfältig den Auftritt, die Parade und die Promenade unterschieden und literarisch mit der Art und Weise der Schreibe vergleichen. Gehen und Schreiben sind in der Promenade zuhause; nicht im Auftritt oder Parade, die eine Bühne benötigen aber kein Zuhause haben. Die ‚symbolischen Formen’ (Bourdieu, ….) sind deshalb äußere Instrumente der Einschüchterung oder Vereinnahmung, die Einübung und Unterwerfung voraussetzen. Die Promenade ist eine allgegenwärtige Handlung, die nur verhindert worden kann, wenn die Promenade gebaut und deklassiert, ausgeschildert wird, also nicht allgegenwärtig möglich ist.
Beim Friedhof braucht die ‚Promenade’ nicht erfunden werden (H. Troll 1996), weil die praktischen und sparsamen Regeln des Grundrisses das eingeschrieben haben; so, dass es niemand verstehen, nur akzeptieren muß. Die Schlaumeier theatralischer Urbanität erschrecken nicht einmal davor zurück, geheiligte Rituale theatralisch zu verhunzen. Wenn mit Gestaltung für den äußeren Schein irgendeine Änderung deklassiert wird, dann ist die wirkungsvolle Absicht den Propagandisten nur vage bekannt. Eine Folge davon ist, dass die Verursacher ständig an den Mängeln herumlaborieren und sanieren können. Was K. Marx für die Kapitalisten beschrieb, gilt ohne Einschränkung für alle Modernisierer. Es geht nicht darum, Änderungen grundsätzlich zu widersprechen. Wer aber etwas so ändern will, dass es Bestand haben könnte, müsste erst mal verstanden haben, was es gibt. Nein, nicht äußerlich und geschmäcklerisch sondern vom Geist und Gedanken kommunalen und individuellen Handelns. Die so genannten ‚ Lösungen’ bewirken nur Katastrophen, bis am Ende niemand mehr weiß, was einmal selbstverständlicher Wissensbestand war. Der muß dann, wie in den Beiträgen dieses Notizbuches, vom Schutt modernistischer Proklamationen freigeschaufelt werden. Die Vermutung, dass der Müll an Lösungen mit der Absicht hergestellt wird, die Grundrisse der Erfahrung und des Wissens zu verschütten, damit, wie J. Berger erzählt, der Bestand nicht nur vergessen sondern unauffindbar wird. Wer etwas über Freiraumplanung verstehen will, muß zuerst den postmodernen Abfall beiseite schaufeln. Den Arbeiten von N. Witzel – Promenaden, Wege und deren gesellige Pausen im Alltag – und D. Kuhle – Friedhofsmoden – Vorkommen und Folgen modischer Gestaltung – sind die Nachdrucke zweier Beiträge von R. Hochhuth zur ‚Eschweger Friedhofsordnung’ zum älteren Nachgedenken beigefügt. Von K. H. Hülbusch gibt es zwei Beiträge für den Unterschied zwischen Straße (Promenade) und die Straße als Grünzug. Alte Texte haben neben der Altertümlichkeit auch schöne Merkposten zur Hand: W. v. Staden (1912): ‚ländliche Friedhöfe’. Den Bürgerschreck der Graffitis, der Zeichen geheimer Anwesenheit, gibt M. Engelmoor zu bedenken, auf. Das ärgerliche besteht in der subversiven Vorgehensweise, die der politischen, administrativen und entwerfenden Willkür nur folgt wo die Handlung so tut, aber ob sie widerspräche. Das ist eben nur eine Machtfrage nach den Strategien militärischer Operationen getrimmt wird. Also: ich mache mir meinen Freiraum, ohne Deinen zu stehlen.
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