Notizbuch 31

Pater Rourke’s semiotisches Viereck. Acht vegetationskundliche Beiträge zur Landschaftsplanung
H. Lührs (Red.)
(1993) DIN A 5 / 220 S. (314g) (9,00 Euro)

Die Pflanzensoziologie ist mit den Aufträgen der Naturschutzadministration ins Fahrwasser floristisch-ökologischer Kurzatmigkeit manövriert worden. Die ehemals offen und relativ unzensierten Periodika für die Veröffentlichung pflanzensoziologischer und vegetationskundlicher Arbeiten werden heutzutage im Sinne von Hofberichten und Werbeschriften redigiert und eingesetzt. Bei der Zurückweisung von Beiträgen wird nach altbekannter Manier i.d.R. der Stil – was immer das sei – zum Vorwand genommen. Zum Beweis haben wir ein Schreiben von D. Kornek (Bundesamt f. Naturschutz und Landschaftsökologie) an E.J. Klauck – nachrichtlich an Prof. Dr. H. Dierschke und Prof. Dr. E. Oberdorfer verteilt – abgedruckt. Ernst und kabarettistisch – also wieder mal stilverletzend – geht H. Lührs in seiner einleitenden Lesehilfe zu den Beiträgen auf dieses Denkmal ein.
Nun, E.J. Klauck legt systematisch wohl begründet und vegetations-/landschaftskundlich verstehend interpretiert den Vorschlag für die Klasse der Mädesüßfluren -Lythro salicarii-Filipenduletea ulmariae Klauck 1993 – vor. Lange, mindestens seit 1968/69 bedacht und immer wieder überlegt, führt der Autor den Nachweis, daß die hygrophilen Säume (Passarge, H.) ein Randphänomen ehemaliger Flächengesellschaften darstellen. Den Beweis dafür liefern die Versaumungen der Filipendulionbrachen, die aus anderen ökonomischen Gründen kurzzeitig vorführen, was vor der Zurückdrängung auf die Säume über lange Zeit stabiler Bestand der Landnutzung war: Streuwiesen.
H. Lührs kommentiert diesen Sonderfall über ‚die Vegetation als Indiz der Wirtschaftsgeschichte‘. Dabei erläutert er – gleichzeitig die Disziplingeschichte der Pflanzensoziologie und der Vegetationskunde resümierend – was aus der Vegetation kundig interpretiert über den Verlauf der Wirtschaftsweise verstanden werden kann. Das ist allerdings nur möglich, wenn die Pflanzensoziologie als Hilfsmittel der (abstrakten) Abbildung des Gegenstandes und Mittel des synthetischen Vergleichs genommen wird, statt orthodox und normativ selbst zur ‚Natur‘ erklärt zu werden. In der Dissertation des Autors, die im Notizbuch 32 erschienen ist, ist diese Beweisführung am Beispiel von ‚Grünland‘ und ‚Grasland‘ ausführlich dargelegt.
A. W. Horst und K. H. Hülbusch legen die ‚methodenkritische‘ Überarbeitung einer grünlandsoziologischen Diplomarbeit aus Göttingen vor. Der Behauptung, daß grünlandsoziologische Untersuchungen ohne die Befragung der Bewirtschafter unmöglich seien, läßt der Autor eine Ordnung der Tabelle nach Befragungsergebnissen folgen. Dagegen weist die soziologische Gliederung der Aufnahmen, die mühselig im nachhinein erstellt wurde, sehr schöne Differenzierungen der Gesellschaften auf. Sie stimmt statistisch mit den Angaben der Bewirtschafter sehr viel plausibler überein und übertrifft die Logik der Konstruktion. Nun was kommt heraus?: ganz schlicht ein Stickstoff-Düngegradient, der gleichzeitig die ‚vorgeleistete Arbeit (R. Tüxen) der Pflanzensoziologie und der Vegetationskunde wieder brauchbar macht.
Heike Lechenmayr weist in ihrem Beitrag auf die Analogie zwischen Queckengrasland und städtischen Rasen hin. Die Pflegeextensivierung, unter dem Stichwort ‚Ökologie‘ verkauft, hat die Scherweiden (Festuco-Crepidetum) in Queckenintensivbrachen verwandelt. Wer hätte schon erwartet, daß so gegensätzliche Absichten wie Grünlandintensivierung und Scherweidenextensivierung pflanzensoziologisch und vegetationskundlich zu analogen Ergebnissen führen. Und das ganz ohne Befragung.
H. Lührs fügt mit dem Erodio-Senecionetum vernalis Lührs 1993 die Neubeschreibung einer Assoziation mit Autobahnverbreitung (im Oberrheintal) und Herkunft auf subkontinentalen Brachäckern bei. Eine Gesellschaft, der bisher geflissentlich aus dem ‚Wege gegangen wurde‘ – wie die Übersichtstabelle des Spergulo-Erodion erweist.
Neue Gesellschaften zu beschreiben ist eine durchaus anstrengende aber auch vergnügliche Arbeit. Sie setzt voraus, daß der/die BearbeiterIn auch Sorgfalt gelten läßt. Das kann für die von Gödde (1987) neu beschriebene Assoziation des ‚Spergulo Herniarietum‘ leider nicht gelten. K. H. Hülbusch holt die Tabellenvergleiche nach und kann beweisen, daß das ‚Neue‘ schon längst bekannt ist. Das ist, selbst wenn es ohne Absicht geschieht, eine unnötige Verwirrung des lieben Publikums.
Diese betreibt absichtsvoll D. Meermeier mit einer Tabelle von AckerBrachegesellschaften. Die Tabelle, schön gegliedert und differenziert, läßt sich dem bekannten Wissen folgend hinsichtlich der Intensität der Vornutzung prima interpretieren. Und dann klärt der Autor auf und weist darauf hin, daß alle Aufnahmen auf einem Acker gesammelt wurden. Was nur den Schluß zuläßt, daß die soziologische Differenzierung in diesen Fällen nicht wirtschaftsbedingt, sondern standorts- / substratabhängig zu verstehen ist. Also wieder einmal ein Beispiel für den Wechsel der Interpretation zwischen analogen und homologen Bedingungen. Dazu ist immer noch Thienemanns ‚Leben und Umwelt‘ ein vorzüglicher Führer.
Wie angekündigt ist das Notizbuch 31 mit vegetationskundlichen Beiträgen gefüllt, in denen die Pflanzensoziologie ein kluges Mittel der Abbildung und Beschreibung, des Vergleichs und der Typisierung und nicht des normativen Beweises ist.

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