Notizbuch 45

Kunst wächst manchen über den Kopf
Ma. E. Granda-Alonso, K.H. Hülbusch, G. Moes, K. Protze, Chr. Theiling (Red.)
(1997) (210×120 mm) 112 S. (144g) (6,25 Euro)

Zur dokumenta 7 pflanzte Joseph Beuys bis zur dokumenta 8 von 1982 bis 1987 die ‘Soziale Plastik – 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung’ in Kassel. Zur d X / 1997 empfehlen wir photographisch dokumentiert von Katharina Hülbusch (Osnabrück) und versehen mit einer Reminiszenz von Valentin Rothmaler (Wismar/Plön) zwei Beuys-Bäume-Spaziergänge, die der Veränderung in der Stadt durch das Kunstwerk gezollt sind. Neben Geschichten zur Aktion, der Durchsetzung, dem hinhaltenden Widerstand der Verwaltung, der Sabotage durch die Stadtobrigkeit (s.a. Notizbuch 38) weisen wir vor allem darauf hin, daß ein ‘wachsendes Kunstwerk’, also ein Werk, das nicht abgeschlossen in den Fundus von Sammlern und Museen einverleibt werden kann, von Kustoden des Werks eine dauernde Interpretation der Partitur erfordert, sie zwingt der Botschaft immer neuen Ausdruck zu geben und dabei die Originalität zu wahren. Der Kommentar, die Fotos, die Spaziergänge sind begleitet mit Auszügen älterer Texte, Stellungnahmen und Feststellungen von Joseph Beuys.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 44

Bremer Reihen
Christoph Theiling (Red.)
(1997) DIN A5 / 210 Seiten. (322g) (9,00 Euro)

Die Reihenhausstadt Bremen, in der bis etwa 1910 die mittelalterliche Haushufenerweiterung der Siedlung beibehalten wurde, ist ein ideales Beispiel zum Nachweis systematischer Reihen. Eine davon – über die Verweichlichung und die Erniedrigung des Vorgartenzauns – steht immer noch aus. Dafür sind zwei andere im Notizbuch abgedruckt: Vom Reihenhaus zur Zeile (Theiling, Christoph) und Plätze in Bremen (Bäuerle, Heidbert u. Theiling, Christoph).
Vom Handwerkerhaus über das Architektenhaus bis zum Entwerfergebäude der Zeile ist eine Reihe der klammheimlichen Verwandlung zu zeichnen, die in Typen und deren Variationen festgehalten werden kann. Spannend ist dabei, daß peu á peu die praktischen Regeln nach Gutdünken verändert, dann vergessen und zuletzt von beliebigen und geschmäcklerischen Erwägungen der Einfalt oder Vielfalt abgelöst werden. So geht denn notwendig auch die Erfahrung der Regeln und die Erinnerung daran verloren, so daß der Bauhauspropaganda – immer wieder bei 0 zu beginnen – Anerkennung und Reputation verschafft wird. Die Reihe der Verwandlungen, die in Bremen mit vielen Beispielen statistich nachgewiesen ist, macht deutlich, daß deren Kenntnis Vorausetzung für das Verständnis der Folgen einerseits und, andererseits, für die Reflexion der Beispiele im Sinne von Vorbildern ist.
‘Plätze’ die seit Camillo Sitte den EntwerferInnen beliebtes Sujet für eine Theaterdekoration sind, folgen der Reihe – der Platzreihe – vom Reihenhaus zur Zeile. Denn immer, wenn ein Platz eine Brosche darstellen soll und keinen Platz bietet, treten die Gestalter auf die Bühne. Die Haushufe wird von Plätzen begleitet. Jede Straßeneinmündung besteht aus Platz, der durch Gebrauch bekannt und verstanden ist. Die allgegenwärtigen Plätze, die den unaufmerksamen Beobachtern zu recht nicht auffallen, werden beim Wandel von der Haushufen-Reihenhausstadt aufgehoben und bombastisch zentralisiert und aus der Reihe genommen. Die Hierarchie der Plätze den Wegen entlang, der Reihe nach, wird ersetzt durch Zentralisierung: nur Bahn, nur Läden, nur ‘Platz’, nur ‘Grünfläche’. So ist die Reihe vom Haus zur Zeile in der Reihe vom Platz zur Fläche schon vorgezeichnet. Dem Auftraggeber war diese ‘Reihe der Plätze’ nicht sonderlich sympatisch. Das ist klar, wenn wir bedenken, daß der Auftraggeber sie für die demonstrativen Flächen – zumindest unausgesprochen – erwartete. Daß der Platz mehr mit dem informellen und alltagspraktischen Gebrauch sinnvoll erst gelebt werden kann und dann gelegentlich auch dem demonstrativen Aufwand dienstbar ist, wird wohl als Kritik am zentralistischen Städtebau verstanden. So passen die beiden Arbeiten – eine kluge Erweiterung und Unterstützung der einen Reihe durch die andere – gut zueinander.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 43

Agrarberatung und Agrarkultur und weitere Texte
(Nachdruck zum 60. Geburtstag des Autors)
Sigmar Groeneveld
(1996) DIN A5 / 152 Seiten. (214g) (5,00 Euro)

Diese Essays – zwischen 1982 bis 1987 geschrieben – immer noch zutreffend, immer noch streitbar und ärgerlich ziehen der Entwicklungs- und Beratungspropaganda für die äußeren und inneren Kolonien ebenso die Zähne wie der industriellen Monopolisierung des ‘Lebens’. Dem stellt der Autor eine ‘Muttheorie’ der individuellen und kommunalen Selbstständigkeit gegenüber, die an Beispielen bäuerlicher Lebenskunst und deren Kultur – Kulturpflanzen gegen cash crops – , der Verbindlichkeit des Ratgebens und Ratsuchens dargestellt wird. Wer dem ‘alternativen Landbau’ anhängt wird von Groeneveld darüber informiert, daß wir es hierbei nicht mit der Kultur zu tun haben, sondern nur einer geschickt getarnten Modernisierung hier und da etwas vorsichtiger taktierenden Industrialisierung und Bürokratisierung. Mit viel Vergnügen nutzt Sigmar Groeneveld seinen Hang zu Sprachspielen, die der LeserIn den ‘Stil des inneren Vorbehalts’ aller möglichen Verlautbarungen offenkundig macht.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 42

Land und Lüge
Florian Bellin (Red.) mit Beiträgen von B. Auerswald, F. Bellin, F. Lorberg und Ch. Welz
(1996) DIN A5 / 308 Seiten (408g) (10,75 Euro)

Landschaftsplanung ist ein schwieriges Geschäft, weil Städter – und Landschaftsplaner sind Städter – das ‘Land’ immer hegemonial von der Metropole, der das ‘Land’ nach physiokratischer Auffassung die ‘subsistence’ zu sichern habe, her betrachten. Deshalb gibt es Landschaftsplanungen, die den Bewohnern und Produzenten auf dem Land gilt, so selten und die koloniale Landschaftspflege verschiedenen Couleurs beherrscht das Geschäft. Die Reduktion einer soliden Landschaftspflege, wie sie nach K. Buchwald (1964) noch bestand, auf einen abstrakt-normativen Naturschutz steht für das Geschäft der nivellierten Versorgung mit Gratisnaturproduktivkräften der industriellen Produktion (Rohstoffe und anorganische Produktionshilfsmittel) sowie der Förderung der Importe organischer Rohstoffe wie Exporte industrieller Produkte aus und in die Kolonien (heute 3. Welt genannt). In diesem Notizbuch sind dazu Arbeiten versammelt, die verschiedenen Seiten des landschaftsplanerischen Verständnisses, der Sympathie zum Ort und Gegenstand gegen die Vereinnahmung nachgehen.
Frank Lorberg geht der ‘Heide’ und der bildungsbürgerlichen Entdeckung von ‘Sumpf, Heide und Sezession’ wie sie in der Propaganda von Hermann Löns angezettelt wird und bis heute virulent ist, auf den schwer erreichbaren Grund. Wie z.B. die Einwohner zu Eingeborenen stilisiert wurden, der städtische Jäger nach Trophäen verschiedener Art – Wildpret, Wissenschaft, Bildern – symbolische Herrschaft über stellvertretende Muße erlangt und zum Ende die Trophäen stilisiert und vermarktet.
Christoph Welz zeichnet die aktuelle, der Nutzung oder deren Entwertung verdankte Naturausstattung am Dörnberg nach und prüft den Einfluß des naturschützerischen wie agrarpolitischen Zugriffs. Zeichnungen und Interpretationen der realen Naturausstattung sind relativ dünn gesät, weil Naturausstattung i.d.R. fiktiv und propagandistisch vorgestellt wird.
Florian Bellin führt am gleichen Ort – dem Dörnberg – den administrativen Zugriff des Naturschutzes, verteten durch die Fortspartie auf und weist die kolonialistische Landschaftsbildnerei in der primitiven Nachfolge englicher Parkgestalter nach. Vorwände und Bilder, Aussperrungen und Einsperrungen, Imitationen und Abfallproduktion, wie sie von Thorstein Veblen schon vor 100 Jahren trefflich als demonstrativen Aufwand und stellvertretende Verschwendung festgestellt wurden, sind, wenn man die dünne Decke des Jargons mal lüftet, in dem üppigen administrativen Mummenschanz aufzudecken und nachzuweisen.
Birgit Auerswald folgt mit ihrer Untersuchung den Wegen – im doppelten Sinne – der ‘spontanen’ Vegetation und ihres praktischen Gebrauchs in der Küche. Die erste Hilfe zur Kenntnis sind Wildkräuterkochbücher, die nach dem Erscheinungsdatum auffällig sortiert werden können. Zugehörigkeit zu Pflanzenfamilien und Pflanzengesellschaften werden für typische Kochkünste, Erntezeiten und Ernteorte beschrieben. Daß diese Kenntnisse nur mehr literarisch vermittelt sind, führt die Autorin auf die Ausrottung der Pflanzengesellschaften durch industrielle Landwirtschaft und die Reduzierung der Wege, die immer auch freies Gut für den Gebrauch der landlosen Bewohner waren, zurück. Die Sammelrestriktionen des Naturschutzes legitimieren die Aufhebung der Allmendnutzungen ergänzend.
Sowohl für die Landschaftskunde und praktische Beobachtungen, Kenntnisse, Gebräuche und den Widerspruch zur Administration informative und spannende Arbeiten, die neben Vergnügen beim Lesen auch wichtige Gedanken zur Landschaftsplanung – gegen die unreflektierte Landespflege formulieren den Spaß, die Langeweile des Naturschutzes meiden zu lernen.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 41

Die Gartenstadt Neu-Siebethsburg in Wilhelmshaven
Silvia Ney
(1996) DIN A5 / 85 Seiten. (146g) (3,50 Euro)

Die Autorin zeichnet das Programm und die Planung des Architekten Fritz Höger, der u.a. das Chilehaus in Hamburg (1922-24), den Hannoverschen Anzeiger (1927) baute, mit Skizzen, Zeichnungen und vielen Originalzitaten nach. Neben Geschoßwohnungsbau aus kurzen, straßenorientierten Zeilen ist eine üppige Grünplanung, die ‘der Siedlung Vollendung bis zum letzten geben soll’ ausgeführt:
„Die Blumenanlagen, die Hecken und die Umpflanzung der Wäschetrockenplätze und die vorbildliche Anlage der Gärten, nicht nur der Blumengärten, sondern auch der Nutzgärten mit Sitzplätzen überall und aller Art, …” (Höger, F. 1934).
Wie die Originalzitate den Entwurf zeitgetreu begleiten, so begleitet die Grünflächen die Obacht, die Kommentare und die Vorschriften der Genossenschaftsverwaltung. Neben den Kosten wird vor allem die Vorhaltung des Grünflächenentwurfs verhandelt. Die Mietergärten – offiziell in Hausgärten umgetauft – finden hinsichtlich Aufsicht und Reglement besondere Beachtung zur ‘Schaffung und Bewahrung eines harmonischen Gesamtbildes’. Diese Absicht steht bei der ‘heutigen Nutzung’ immer noch im Vordergrund, weil so weit wie möglich der ‘Entwurf’ aus der Entstehungszeit beibehalten werden soll. Die dauernde Mühe an die Eröffnung, an die vermutete Originaltreue macht das Alter der Siedlung zwar nicht übersehbar, verhindert aber die Alterung, die Patina, die durch Gebrauch hergestellte Veränderung.
Die solide Zeichnung der Historiographie von Neu-Siebethsburg ist spannend zu lesen, weil darin wieder einmal bekannt wird, daß eine Genossenschaft, die älter wie die Genossen wird und damit den Anlaß ‘überlebt’, den Habitus einer Verwaltung übernimmt. Und für die ist der Ordnung halber eine Einschränkung der individuellen Entscheidungen wie kommunalen Vereinbarungen notwendig, damit sie die Übersicht behält und eine Quasi-Privatisierung verhindert wird.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 40

Freiraum und Vegetation
Helmut Böse-Vetter (Red.)
(1996) DIN A5 / 428 Seiten. (572g) (12,25 Euro)

In der Normalarbeit geht, wenn man nicht aufpaßt, sehr bald die Neugier und damit die Fähigkeit des Wissens verloren. Deshalb ist es hilfreich, gelegentlich daran zu erinnern und einen Text zu schreiben, der nicht ausschließlich der Normalarbeit und dem Alltagsärger gedient ist, sondern diesen reflektiert, dem damit abhilft und gleichzeitig das Gespräch mit dem ‚Wissensvorrat der Diziplin‘ – sozusagen ein stiller Partner in der Situation – wieder explizit aufnimmt. Auch die imaginäre LeserIn, der ich meine Geschichte und die Einsichten daraus erzähle, fordert die sorgfältige und vollständige Darlegung der Begebenheit und der Lehren; allerdings nicht so, wie der bürokratische und praxologische Vorwand, der aus einer Begebenheit eine privatistische Anektode mit endgültigem Beweis macht, statt daran den klügeren Weg zu klären: die Moral von der Geschicht. E. Panofsky hat einen süffisanten Text zur ‚Verteidigung des Elfenbeinturms‘ geschrieben. Gelegentlich von der Arbeit, aus dem Gewühl zurückzutreten, Distanz zu gewinnen und die Situation des kritischen Beobachters einzunehmen zur sorgfältigen Abbildung des Gegenstandes, der Arbeit und der Interpretation des Ereignisses oder Ertrages.
Je nach Arbeitssituation, drängenden Fragen oder Abbildungs-/Beschreibungsnotwendigkeiten sind Arbeiten zur Freiraumplanung – Sozialpsychologie (s. Walzer, M 1993), kommunalen und privaten Organisation, Reihung und Zonierung, materiellen Herstellung, Ausstattung und Alterungsfähigkeit – zur handwerklichen Planung und Ausführung – spontane Vegetation, wassergebundene Decken, Ökonomie der Materialverwendung, Bäume/ Pflanzung, Herstellung und Fertigstellung – zur Naturausstattung – städtische spontane Vegetation, Pflegevegetation, Vegetation der Bauernwirtschaft, Vegetation der Landwirtschaft – oder zur Landschaftsplanung in diesem Notizbuch zusammengetragen. Die Kritik der Grünplanung und der Landespflege läuft angedeutet oder explizit neben dem Strom der Diskussion nach der interpretatorischen Gewährsliteratur, also Literatur und Botschaften, von denen es etwas zu verstehen, einzusehen gibt, mit. Eine Sammlung von Beiträgen, die viele Arbeiten aus der Kasseler Schule aufnehmen, zusammenfassen und fortführen. Hinzu kommen noch einige Übersichten zu Veröffentlichungen, Kompaktseminaren, PlanerInnenseminaren und anderen ‚Einrichtungen‘ der AG Freiraum und Vegetation.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 39

Himmel und Hölle – Das Gartenmotiv im Märchen und Kindermalerei auf der Straße
und einigen Ergänzungen aus älteren Texten.
mit Beiträgen von Anette Hohagen und Katharina Hülbusch
(1996) DIN A5 / ca. 170 Seiten. (264g) (7,25 Euro)

Das Gartenmotiv im Märchen, dem man leichtsinnig einen Katalog netter Accessoires für die postmoderne Grünkunst wie z. B. Dornröschenschlösser zumuten könnte, nimmt die LeserIn auf eine Reise durch ein fremdes Land mit. Die ‚Motive‘, die leichtfertig und oberflächlich zur Kopie reizen, sind neben jedem Weg zu finden, wenn wir den Kontext hineinlesen und bei der Vorstellung der imaginären Realität bleiben. Die Moral ist die Moral der Geschichte. Die Geschichten können nicht gebaut werden. In jedem kannonischen Garten finden wir die Metaphern, mit denen die Märchen komponiert sind. Und trotzdem sind Gärten weder gebaute noch imaginäre Märchen. Denn Märchen sind sinnbildhafte Erklärungen, die leider – wie die Grimms vorgefürt haben – auch eine klammheimliche Verwendung und Anpassung des Sinns ermöglichen. Gärten dagegen sind dem Kanon des Gebrauchs, in dem offenbar auch Sinnbilder enthalten sind, gedient.
Dieser Reise durch die Märchennbilder folgt eine solche durch die Kinderbilder auf der Straße. Wir begegnen hier der Selbstversicherung der HeldIn, der imaginären Bedeutung der Darstellungen, der Personen, der Grenzen – einer Welt, der die Zeichnung Ausdruck gibt, die weder real noch in der Vorstellung der Kinder ist. Die ErzählerInnen, die Kinder führen ein Gespräch mit der Welt, folgen dabei verschiedenen kanonischen Reihen. Die Abbildungen geben nicht nur die Fähigkeit, die Vorstellung in Zeichnungen wiederzugeben kund – sie zeichnen auch, was die Kinder schon verstehen und welche Erklärungen sie dazu bedenken. In den Zeichen- und Hüpfspielen treten dazu auch magische Rituale und Zahlen in der Kinderzeichnung auf, die jetzt Regeln übernehmen und in die Spiele einführen. Wie im Märchen archetypische Konstellationen für das Verständnis und die Botschaft der Erzählung unerläßlich sind, so brauchen Kinder in der Realsituation kanonische Situationen, damit sie ihre Geschichten ‚malen‘ können: ein Stück Straße für mich allein, oder etwas Freiraum.
Die Einleitung zu einer Projektarbeit über die ‚Freiflächen des Vorderen Westens‘ (I. M. Hülbusch u. U. Läsker-Bauer 1977/78) ruft noch einmal die Feldabhängigkeit und die ‚vaterlose Gesellschaft‘ in Erinnerung. Eine Besucherbefragung – eine schöne Anektode gegen Soziologismus – zeigt, wie hilflos die Befragten sind, wenn ihnen keine Auswege gelassen werden.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 38

StadtBaumSchule oder Vertrauliche Mitteilungen über Bäume
Ma Elena Granda Alonso u. K. H. Hülbusch (Red.)
(1996) DIN A5 / ca. 348 S. (468g) (12,25 Euro)

Seit dem Notizbuch 1, das vor über 10 Jahren erschienen ist, haben wir durch Beobachtung und praktische Arbeit die damals dargestellten Arbeitserfahrungen präzisieren und wesentlich erweitern können. Auch hier stehen die ‚7000 Eichen‘ von Joseph Beuys im Hintergrund, weil nach der Pflanzung vor allem die sträflich vernachlässigte Fertigstellungspflege für den Zeitraum von zwei bis acht / zehn Jahre nach der Pflanzung durch Vergleich mit alten Bäumen und nachahmende Durchführung zu lernen war. Die völlige Unkenntnis dieses Arbeitsschritts, die totale Unfähigkeit diese Arbeit durch schlichte Überlegung nachzuvollziehen, ist vom Gartenamt bis zu professoralen ‚Praktikern‘ mit hier nachzulesenden wütenden Angriffen und Unterstellungen begleitet worden. Ma Elena Granda Alonso hat dazu eine Arbeit verfaßt, in der viele ältere Bäume miteinander verglichen und nach ihrem ‚Lebenslauf‘ beschrieben werden. In einer daraus abgeleiteten Reihe stellt sie generalisierend den Lebensweg der verschiedenen Altbäume von der Pflanzung bis zur Gegenwart dar. Erschwerend ist die geringe Menge gut ‚erzogener‘ und gealterter Stadtbäume gegenüber der Dominanz von grünamtlicher Willkür und Unfähigkeit, wie wir sie jeden Tag an Beuys-Bäumen beobachten konnten. Wie denn alle Arbeiten mit und an Bäumen in den Städten (und auf anderen Baustellen) in einem desolaten Zustand sind und nur gelegentlich (meist zufällig) geraten.
So haben wir dann durch Beobachtungen des Zuwachses von Bäumen nach der Pflanzung, wozu für die Beuys-Bäume sorgfältige Pflanzprotokolle vorlagen, weitere Einsichten in ‚Pflanzfehler‘ (i.w.S.) gewonnen. Auch dazu hat Ma Elena Granda Alonso eine Arbeit verfaßt, die unsere Aufmerksamkeit anregte.
Mit Anektoden, vor allem aber mit einer üppigen Anzahl von Auswertungen ‚zufälliger Experimente‘ können wir in vielen kleinen Beiträgen Beweise für die gärtnerisch solide und erfolgreiche Baumpflanzung und Baumerziehung aufführen. So ist denn eine Neufassung der ‚Regeln zur Baumpflanzung‘, die das Arbeitsprotokoll des Notizbuches 1 ablösen, vorbereitet. Darin sind ohne weitere Erläuterung – oder nur im Ausnahmefall – die Regeln präzise ausgeführt und alle Zugewinne an Erfahrung eingeführt.
Damit es nicht in Vergessenheit gerät: unsere Überlegungen dienen der Herstellung wüchsiger und alterungsfähiger Baumpflanzungen. Dagegen wird innerprofessionell seit gut 30 Jahren vehement der ‚Behandlung‘ der Bäume eine lukrative Aufmerksamkeit gewidmet. Dem propagandistischen Hoch vor zehn Jahren haben R. Grothaus, G. Hard und H. Zumbansen 1988 einen mächtigen Dämpfer versetzt, den wir hier zur Erinnerung abdrucken. Denn nicht nur in den ’neuen Ländern‘ geht die Schlacht der Baumsanierung weiter und ist jeder Baum spätestens 5 Jahre nach der Pflanzung sanierungsreif.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 37

Blockrand und Stadtrand
H. Böse-Vetter (Red.)
(1995) DIN A 5 / 332 S. (462g) (12,25 Euro)

Der Stadtrand ist eine ohnehin schwierige Situation, solange er nur geographisch vom Zentrum zur Peripherie begriffen wird. Eine vollkommen irreführende oder irre geführte Beobachtung steckt darin, die vorerst präziser immer noch in der Nachbereitung des PlanerInnenseminars Miltenberg 1992 verhandelt ist. Die Beiträge von Rainer Möller und Claudia Schneider – ‚Die ökonomische Erweiterung der Stadt‘ -, von Katrin Bekeszus – ‚Ein Plan von Kirchditmold‘ – und Bernd Schürmeyer – ‚Freiraumrahmenplanung für den nördlichen Stadtrand von Großalmerode‘ – gehen implizit auf die Diskussion des ‚Stadtrandes‘ und seine Be- bzw. Mißachtung bei der Siedlungserweiterung ein. In diesen Arbeiten wird dargelegt, daß die Beachtung oder die Vernachlässigung der Hufensiedlung praktische und kommunalökonomisch weitreichende Folgen zeitigen. Reto Mehli – ‚Der Baublock- wiederentdeckt und doch verwirrend neu‘ – führt an Aufnahmen von Baublöcken aus Zürich eine Systematik der Baublöcke durch, die Typen und Variationen der Baublöcken mit charakteristischen Merkmalen der Organisation nachweist und in Prinzipskizzen anschaulich macht. Dazu führt der Autor eine üppige literarische Kommentierung durch. Ein Gedanke ist, wie weitere Überlegungen zum Baublock anregten und in den vorgenannten Arbeiten dieses Notizbuchs ausgeführt wurden, dabei vernachlässigt worden. Was wir heute sehen können ist ein Baublock oder im modernistischen Extremfall eine Blockrandzeile. Das ‚verwirrend Neue‘, auf das auch Georges Moes mit seinem Beitrag -‚Neue Gründerzeit‘ – hinweist, besteht darin, daß der klassische Block aus Hufenerweiterungen hergestellt wurde und der moderne Block von der Fläche her inszeniert wurde. Die Hufenerweiterung hat die Straße zum Ausgang, an deren Rand gebaut wurde. Der Block ist ein sekundäres Phänomen. Der verwirrend neue Block erklärt die Straße zum Rand, weil von der arrondierten Fläche her gedacht wird. Deshalb kann in einem solchen Block auch auf die Straße verzichtet werden, weil die Zeile, unabhängig von der Aufstellung der Gebäude, und die arrondierte Fläche dem Entwurf zur Grundlage dienen. Der Verwirrung kommen wir nach, wenn wir den Blockrand nicht mehr glauben, weil die Erscheinung in einem Fall sekundär im anderen primär ist. Die Mitte der Hufensiedlung ist die Straße, gegenüber stehen sich zwei Häuserreihen. Die Grenze oder der Rand dieser Hufen liegt auf der Rückseite – also da wo die Rückseite der Hufe einer anderen Straße angrenzt. Die ‚Verwirrung‘ liegt an einer Stelle der begrifflichen Vereinnahmung, die wir bisher noch nicht verstanden, durchschaut hatten. Christoph Theiling resümmiert über das Studium und die darin enthaltenen Widersprüche und Verwirrungen mit der Metapher des Reihenhauses, also der Hufensiedlung, die dem Block (oder dem Bündnis) der emotionalen Vereinnahmung gegenübersteht.

zurück zur Übersicht

Notizbuch 36

Alles Quecke …
H. Böse-Vetter u. K.H. Hülbusch (Red.)
(1995) DIN A5 / 292 S. (416g) (10,75 Euro)

Die ‚Militarisierung des Landbaus‘ wollten wir dieses Notizbuch zunächst nennen, weil sowohl die Chemisierung, die Mechanisierung und die genetische Manipulation aus den Retorten der Kriegs- und Militärforschung stammen und die Einführung in den Landbau entweder den Kuppelprodukten (Abfall wie z.B. Thomasphosphat) oder der Überproduktion bzw. in Nicht-Kriegszeiten der Auslastung der Produktionsanlagen (z.B. Stickstoff, Herbizide, Schlepper) anzurechnen sind. Die vielgepriesene ‚Konversion‘ verlagert nur den Kriegsschauplatz und spielt dort Schafspelz.
Mit Arbeiten von Bernhard Ledermann über ‚Etappen und Folgen der Grünlandintensivierung‘ sowie ‚Brachephasen in der Wirtschaftsgeschichte‘ und Bernd Gehlken ‚Von der Bauerei zur Landwirtschaft‘ wurden verschiedene Erscheinungsformen der vollständigen Nivellierung des Trophieniveaus und der Durchsetzung der Gras-Acker-Brache (s. Lührs, H. 1994) nachgewiesen. Die ‚Programmbrachen‘ sind dafür ein überzeugender Beweis, dem die Seilschaft aus Agrarpolitikern, Agraradministration und Naturschützern gerne einen grünen Kittel umhängen möchte.
Bernhard Ledermann führt nach der Recherche zur Thomasphosphat- und Stickstoff-Werbung am Beispiel des Grünlands und der Viehhaltung in der Gemeinde Oberstreu (Bayrische Rhön) die ‚Etappen und Folgen‘ der Intensivierung der Bodenproduktion sowohl am Bestanswandel der Vegetationsbestände wie am Wandel der Viehbestände auf:
„Wo man nun aber lauter greisete Kühe haben will, da ändert sich das ganze Verhältnis, das Bleibende muß einem beständigen Wechsel weichen, denn der Kühe Natur, Liebe und Fruchtbarkeit lassen sich so wenig nach den Käsereien regeln als das Gras“ (Gotthelf, J. 1850 /1978 – Die Käserei in der Vehfreude: 72)
Daß die Äcker latente Gras-Acker-Brachen sind, kommt heraus, wenn die ProgrammBrache zuschlägt. Ingrid Bauer weist mit vielen Aufnahmen von ProgrammBrachen die Zugehörigkeit der Brachvegetation der üblichen trophierten Äcker zur Initialphase des Queckengraslandes nach. Die Prophezeiungen der Naturschützer, die von den Brachen eine artenreiche und bunte Vegetation erwarteten, ist wieder einmal nicht bestätigt worden. Im Beitrag über die ‚Brache in der Wirtschaftsgeschichte‘ stellt die Autorin klar, daß die ‚Flächenstillegung‘ absichtsvoll mit dem Begriff ‚Brache‘ hausiert, um der administrativ finanzierten Entwertung der Ernte den Heiligenschein einer arbeitsökonomischen Überlegung zu verleihen. Die Brache, genauer betrachtet, ist ein Phänomen das von der Bodenvorratswirtschaft in der Bauerei mit wandernder Arbeitsinvestition bis zur Programmbrache in der Landwirtschaft mit flächenhaft gleicher Wirtschaftsintensität nur über den Kontext verstanden werden kann.
Im Beitrag von Bernd Gehlken über den Vegetations- und Wirtschaftswandel im Stedinger Land wird an einem Ort, für den Vegetationsaufnahmen aus dem Jahre 1937 vorliegen, über die Verqueckung hinaus der vorausgesetzte bzw. angenommene Wandel von der ‚Bauerei zur Landwirtschaft‘ nachgewiesen. Wie schon an anderen Orten beobachtet (Collage Nord / Landschaftsplan Stade) fällt auch in Stedingen auf, daß die ‚Landwirtschaft‘ die bevorzugten Standorte von den naturbürtig weichen zu den leicht manipulierbaren Flächen wechselt: Hier also von der hohen Marsch, über die Niedere Marsch zum Niedermoor.

zurück zur Übersicht